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Historische Gründung 1868

 

Die Verbesserung der inneren Einrichtungen in Preußen.

Gleich nach den glücklichen Erfolgen des jüngsten Krieges und des

Friedensschlusses hatte unsere Regierung die innere Neugestaltung des

erweiterten preußischen Gebietes als ihre nächste Aufgabe erkannt und

verkündet. Der Minister des Innern, Graf zu Eulenburg, sprach sich darüber

im Abgeordnetenhause unumwunden aus. Er sagte:

»Die neue Lage, die wir uns bereitet haben, werden wir mit der größten

Freude ausfüllen; es wird endlich für uns der Moment kommen, wo wir

nach den unfruchtbaren Kämpfen mit diesem Hause nun die Ruhe

gewinnen werden, um wirklich an die Arbeiten unserer Ministerien

heranzugehen. Das ist seit vier Jahren nicht möglich gewesen; man hatte

nicht die Seelenruhe, man hatte keinen Muth dazu, mit irgend einem

Vorschlage hervorzutreten, den man für die Organisation, für die

Fortentwickelung der Verwaltung für nöthig hielt, weil man wußte,

man begegnete dem grundsätzlichen Widerspruche einer erdrückenden

Mehrheit.

 

»Die Armee-Reorganisation und der feste Wille, sie durchzuführen,

sagte der Minister weiter, ist die Veranlassung gewesen, weshalb die

Regierung die Zügel straffer anziehen mußte. Sie hat es gethan.

Mit dem Augenblicke aber, wo dieser Zweck erreicht ist, wird die Lage

eine durchaus andere, sie wird eine andere für uns, sie wird eine andere für Sie.«

 

Die Absichten und Auffassungen der Regierung waren kurz zuvor in folgenden Worten bestimmter angedeutet worden)*

 

»Die Regierung wird zuvörderst durch gewissenhafte eigene Prüfung der bisherigen Zustände und demnächst durch sorgfältige und rücksichtsvolle Erwägung mit Männern des öffentlichen Vertrauens in den neuen Landestheilen die Aufnahme derselben in den Bereich des preußischen Verfassungslebens vorbereiten. Aber damit wird die Arbeit nur begonnen, keineswegs vollbracht sein.

Die Regierung wird während der nächsten Jahre in Gemeinschaft mit der erweiterten Landesvertretung das Werk des inneren Aufbaues fortzusetzen haben.

Die mannigfachen Arbeiten heilsamer Verbesserung und Neugestaltung auf dem Gebiete der inneren Gesetzgebung, welche durch den vierjährigen Stillstand unseres Verfassungslebens unterbrochen waren, werden jetzt mit neuer Frische und mit größerer Aussicht auf Gelingen wieder aufzunehmen sein. Mit der Erweiterung unseres Staatsgebiets wird auch der Gesichtskreis nach allen Seiten hin erweitert und der Antrieb zu ersprießlichem Schaffen erhöht sein. Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens werden alle die guten Keime und Saaten, die in den neuen Landestheilen zu finden sind, zu pflegen und in das große Gesammtvaterland herüberzunehmen sein.

Es ist eine weit aussehende, aber viel verheißende Arbeit. Gott wolle dazu die neu hergestellte Einigkeit zwischen Regierung und Landesvertretung weiter stärken und segnen!«

Aus diesen und ähnlichen Kundgebungen war von vorn herein zu ersehen, daß sich die Regierung ihrer neuen Aufgabe bewußt war und daß es nicht des Antriebes politischer Parteien bedurfte, um sie den Weg der inneren Neugestaltungen betreten zu lassen.

Der erste Theil der vorgezeichneten Aufgabe ist von der Regierung im

Laufe des letzten Jahres erfüllt worden: nach gewissenhafter Prüfung

der Zustände in den neuen Landestheilen wurden Männer des

öffentlichen Vertrauens aus allen einzelnen Ländern berufen,

um mit denselben die Aufnahme der neuen Provinzen in das preußische

Verfassungsleben bis zu dem festgesetzten Termine, dem 1. Oktober,

vorzubereiten.

Zu diesen Berathungen hatte der Minister des Innern die

hervorragendsten Männer der verschiedenen politischen Parteien

herbeigezogen und es war ihm gelungen, im Kreise derselben ein

erfreuliches Einverständniß über diejenigen Einrichtungen

herbeizuführen, welche den Bedürfnissen der einzelnen neuen

Landestheile zunächst entsprachen.

Einer der bedeutendsten und freisinnigsten hannoverschen Abgeordneten

hat sich über das Verfahren der Regierung während jener Uebergangszeit

jüngst öffentlich ausgesprochen.

»Die Staatsregierung, sagte derselbe, hatte bis zum Zusammentritt des

Landtags während der Uebergangsperiode, entsprechend den Verheißungen

Sr. Majestät des Königs, im Ganzen die Eigenthümlichkeiten der neuen Länder

geschont; und – wenn auch im Einzelnen zu viel in dieser Richtung geschehen sein mag –

doch im Allgemeinen sich darauf beschränkt, Gesetze und Einrichtungen so weit zu ändern, als es die Staatseinheit erforderte. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, des preußischen Steuersystems, die Aufhebung der Zunftrechte u. s. w. ergaben sich unter diesem Gesichtspunkte als durchaus nothwendig.

Andererseits waren die Provinzen in ihrem alten Bestande unberührt gelassen. Wir in Hannover haben unsere Städteordnung, unsere Landgemeinde-Ordnung, unsere Agrargesetze in Betreff der Verkoppelung und Gemeinheitstheilung u. s. w., die Grundlage unserer Justizverfassung, die Aemterverfassung behalten. Die Zusammengehörigkeit der Provinz war durch die den Wünschen der Vertrauensmänner entsprechende Provinzial-Vertretung neu gekräftigt und befestigt. Die Kirchenverfassung war feierlich anerkannt und die Synodalverfassung in weitere Ausführung gebracht.«

Er fügt dann hinzu: für das Abgeordnetenhaus sei in der letzten Session die Frage entstanden, ob es »die bisher zur Zufriedenheit der Provinz befolgten Grundsätze billiger Rücksichtnahme« anerkennen wolle.

Die Regierung ist sonach in der Durchführung des ersten Theils ihrer neuen Aufgabe keineswegs unglücklich gewesen: der Verlauf der Verhandlungen mit den Vertrauensmännern und der Erfolg derselben, haben Zeugniß davon gegeben, daß es der Regierung weder an dem ernsten Willen, noch an der richtigen Auffassung für die ersprießliche Behandlung ihrer Aufgabe gefehlt hat.

Aber die Regierung war sich ferner bewußt, daß »die Arbeit nur begonnen, keinesweges vollbracht sei«, – sie war entschlossen, »das Werk des inneren Aufbaues in Gemeinschaft mit der erweiterten Landesvertretung fortzusetzen« und hierzu die wiederhergestellte Einigkeit zu benutzen.

Sie durfte ihrerseits das Vertrauen in Anspruch nehmen, daß sie auch die weitere Durchführung der wichtigen Aufgabe mit Ernst und mit Umsicht vorbereiten würde.

Es konnte verständigerweise nicht erwartet werden, daß die Regierung, nachdem soeben erst die vorläufige Einfügung der neuen Provinzen in die Gesammtmonarchie durchgeführt war, gleich beim ersten Eintritt der neuen Mitglieder in die Landesvertretung mit einem fertigen und vollständigen Plan für die Neugestaltung der gesammten inneren Verwaltung hervortreten würde.

Zu einem so umfassenden Plan konnte ebensowenig die Regierung schon allseitig vorbereitet sein, wie die Landesvertretung im Stande gewesen wäre, eine solche Vorlage mit genügender Sachkenntniß zu beurtheilen. Soll wirklich ein gegenseitiger Austausch des Guten und Ersprießlichen zwischen den alten und den neuen Landestheilen, ein unbefangenes gemeinsames Schaffen für die Gesammtmonarchie stattfinden, so müssen die Vertreter von hier und von dort erst Zeit und Gelegenheit haben, die beiderseitigen Einrichtungen zu prüfen und in ihrer Wirksamkeit zu beurtheilen.

Ohne eine solche Kenntniß und praktische Erfahrung werden auch die bestdurchdachten Pläne sich nur im Gebiete der Einbildung und des Scheines bewegen, ohne Werth für die Forderungen der Wirklichkeit; die Anschauungen, Wünsche und Ansprüche von den verschiedenen Seiten müssen sich dann schroff und unvermittelt entgegentreten.

Dies hat sich in den Verhandlungen der jüngsten Landtagssession vielfach bestätigt, und die Regierung in der Ueberzeugung befestigt, daß sie wohl daran gethan hat, die Arbeiten der inneren Neugestaltung nicht übereilt und nicht ohne allseitige gründliche Vorbereitung an den Landtag zu bringen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Provinzial-Landtag von Preußen, welcher am 1. März in Königsberg eröffnet worden ist, wird sich auch mit den Nothstandsfragen zu beschäftigen haben; namentlich wird derselben auch eine Kommission wählen, welche bei der Vertheilung der vom Landtage bewilligten drei Millionen Thaler zu Saatvorschüssen mitwirken soll.

Bei der Eröffnungsfeierlichkeit ließ sich der Königliche Landtags-Kommissarius Ober-Präsident Eichmann über den Nothstand in folgenden Worten aus:

»Wir Alle sind auf das Tiefste ergriffen von dem Nothstande, welcher sich in der Mehrzahl der ostpreußischen Kreise in Folge wiederholter schlechter Ernten und der letzten Mißernte hervorgethan hat.

Die Staatsregierung hat durch Herstellung vielfacher Arbeitsstellen, die bedrängten Kreise selbst haben durch außerordentliche Anstrengungen für ihren Chausseebau zu helfen gesucht. Aus Staatsmitteln sind dazu und zur Unterstützung bei der Armenpflege ansehnliche Vorschüsse gemacht; noch bedeutendere Vorschüsse werden den kleineren Grundbesitzern gewährt.

Um die augenblickliche Noth zu mildern, haben sich unter dem Allerhöchsten Protektorat unserer Allergnädigsten Königin, unserer wahren Landesmutter, im ganzen Vaterlande und weit über dasselbe hinaus edle Frauenvereine gebildet, um Gaben der Liebe zu sammeln und zu vertheilen. Zu gleichem Zwecke und hauptsächlich um mittelst Arbeit Verdienst zu gewähren, wirkt auf das Segensreichste der unter höchster Protection Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen gebildete Hilfsverein für Ostpreußen und es wirken dazu so viele Vereine in den Städten und auf dem Lande. Auch mir werden viele aben der Liebe anvertraut, die ich gewissenhaft unter die beiden Regierungsbezirke vertheile. Der hohe Johanniter-Orden hat sich vor Allem der Kranken angenommen, und wir bedauern den Tod einer edlen Gräfin, die, ein Opfer barmherziger Liebe, der bösen Seuche erlegen ist. Flehen wir vor Allem die Barmherzigkeit Gottes an, daß er seinen Segen zu dieser That der Menschenliebe gebe, und daß er die Saaten segne, welche wir dem Acker anvertrauen, von der gegenwärtigen Noth uns helfe und neue abwende. Wir dürfen unseren Blick aber auch nicht verschließen für die außerordentlichen Vortheile, welche in diesem Jahre der Noth der Provinz zugewandt sind.

Ich meine die langersehnte Eisenbahn von Thorn nach Insterburg, die neue Bahn Schneidemühl-Dirschau, die Bahn von Cöslin nach Danzig, Bahnen, welche viele Kreise der Provinz durchschneiden und die in Verbindung mit unserer Ostbahn und der ihrer Vollendung nahen ostpreußischen Südbahn, so wie mit den sich an die Bahnen anschließenden Staats- und Kreischausseen der Provinz zu allen Zeiten des Jahres für alle Binnen- und Seemarktplätze einen leichten Zugang sichern, eine Sicherheit, durch deren Mangel wir bisher so vielfach und so bedeutend beschädigt sind. Zu Ihren Berathungen, welche Sie mit bewährtem patriotischen Eifer und preußischer Gründlichkeit führen werden, wünsche ich Ihnen Gottes Segen und eröffne im Allerhöchsten Auftrage hierdurch die Sitzung dieses ordentlichen Landtags des Königsreichs Preußen.«

Der Landtags-Marschall sagte in seiner Erwiderung Folgendes:

»Schon seit dem Jahre 1864 haben wir bei Eröffnung des Landtages mißlicher Ernteverhältnisse zu erwähnen gehabt, und es ist in den Annalen der Landwirthschaft kaum erhört, daß sich in derselben Provinz vier Jahre hintereinander solche Kalamitäten dahin gesteigert haben, bis endlich in einem großen Theile der Provinz eine wirkliche Unterstützungsbedürftigkeit hervorgetreten ist.

Von höchster Stelle angeregt, sind aus dem ganzen Vaterlande und über dessen Grenzen hinaus so reichliche Mittel geflossen, um die Nothleidenden zu unterstützen, daß viele Thränen getrocknet, daß viel Noth gelindert ist. Dennoch hat sich verderbliche Krankheit häufig hinzugesellt und ihre Ernte gehalten, und wir dürfen es uns nicht verhehlen, daß die Nothwendigkeit so umfangreicher Unterstützung vielfachen Irrthümern die Bahn ebene, welche in der Gegenwart schwer zu überwinden sind und welche lange auf unseren sozialen Verhältnissen lasten werden. Nicht minder sind von Seiten der Staatsregierung zur Begründung von Kulturarbeiten und Chausseebauten reichliche Mittel gewährt worden, auch, so weit es anging, aus Magazinen Getreidevorräthe geöffnet worden, und wir sehen nunmehr durch die verkündete Vorladung nicht unbedeutende Mittel gewährt, um bedürftigen Grundbesitzern die Sommersaaten zu sichern.

Dank und Anerkennung gebührt solcher sorglichen Pflege, die wir gern darbringen.

Aber nicht minder ist die Ueberzeugung lebendig, daß alles menschliche Streben nicht ausreicht, dies Mißverhältniß zu beseitigen, wenn nicht des Himmels Segen eintritt, um das Unheil von der Provinz zu wenden.

Wir zweifeln nicht, daß Gottes Gnade, die unseren Königlichen Herrn und die Geschicke unseres Vaterlandes so glorreich geführt, auch hier Heilung senden wird, wenn es die rechte Zeit ist.

Wir wollen unsererseits die Hände nicht ruhen lassen und mithelfen, wo es Noth thut.

Wir wissen, daß unser König und Herr unermüdlich ist in der treuen Sorge für unser Vaterland, und daß Er es dem Segen Gottes anheimstellt.

Wir wollen uns in Treue zu Ihm halten und auch heute zuerst rufen: Se. Majestät der König lebe hoch!«

 

Nothstandsbericht.
Aus Königsberg.

In den letzten 14 Tagen sind in den Preisen der nothwendigsten

Lebensmittel keine erheblichen Aenderungen eingetreten.

Der Preis des Roggens ist in den mittleren und südlichen

Kreisen des Departements, namentlich Pr. Eylau, Rastenburg,

Roessel, Pr. Holland, Mohrungen, Heilsberg bis auf 3 Thlr. 5 Sgr.,

in den Kreisen Braunsberg und Friedland bis auf 3 Thlr. 10 Sgr.,

in dem Kreise Osterode auf 3 Thlr., in dem Kreise Ortelsburg

auf 2 Thlr. 25 Sgr. gestiegen, während in den nördlichen Kreisen

Memel, Labiau, Wehlau, Königsberg, Fischhausen, wo er ca.

3 Thlr. 10 Sgr. beträgt, die Preissteigerung sich weniger

bemerklich gemacht hat. Der Preis der Kartoffeln ist im Kreise

Memel, wo er früher auf 1 Thlr. 25 Sgr. stand, in Folge von

Zufuhren aus Pommern auf 1 Thlr. 20 Sgr. pro Scheffel

heruntergegangen, in dem Kreise Labiau auf 1 Thlr. 10 Sgr. bis

1 Thlr. 15 Sgr. gestiegen; desgleichen zeigt sich in den meisten

anderen Kreisen eine mäßige Preissteigerung. Um den Bedarf

für die Consumtion sicher zu stellen, sind fast in allen Kreisen

schon Getreide-Verkaufsstellen (namentlich für Roggen und

Erbsen) errichtet; in den übrigen sollen sie in der nächsten

Zeit eingerichtet werden, so daß einem wirklichen Mangel an

Lebensmitteln vorgebeugt werden wird.

Die Gelegenheit zur Beschäftigung von Arbeitern hat sich durch

die Beschränkung der Arbeiten in den Forsten für diejenigen

Distrikte des Departements, wo sich die größeren Forstreviere

befinden, theilweise vermindert. Andererseits hat dagegen das

Zunehmen der Tage und die einigermaßen mildere Witterung

die sonstigen Draußen-Arbeiten, namentlich an den Chausseebauten, schon erleichtert und den Arbeitsverdienst verbessert. Die zahlreich vorhandenen Arbeitsstellen werden durch die in diesen Tagen bevorstehende Inangriffnahme des Thorn-Insterburger Eisenbahnbaues bei Osterode, Allenstein und Gerdauen noch eine sehr willkommene und hoffentlich recht wirksame Vermehrung erfahren. Nur in denjenigen Kreisen, wo die beabsichtigten Chausseebauten noch nicht haben in Angriff genommen werden können und es auch an sonstigen größeren Arbeitsstellen fehlt, wird noch über Mangel an Arbeits-Gelegenheit geklagt.

Während sich die Lage der gemeinen Arbeiter im Ganzen in den letzten Wochen mindestens nicht verschlimmert hat und für die nächste Zeit noch eine wesentliche Verbesserung gehofft werden darf, ist die Lage der kleinen Handwerker fortdauernd eine sehr üble. Was zu ihrer Unterstützung Seitens einzelner Stadtkommunen, so wie durch die Vereinsthätigkeit durch größere Bestellungen von Handwerksfabrikaten oder Gewährung von kleinen Darlehnen geschehen, hat bisher nur eine vereinzelte, im Allgemeinen sehr unzureichende Hülfe gewährt.

Was den allgemeinen Gesundheitszustand betrifft, so hat sich der Typhus nach den Kreisen Pr. Holland, Braunsberg, Heiligenbeil, Pr. Eylau, Königsberg (namentlich auch die hiesige Stadt), Fischhausen, Wehlau, Labiau weiter verbreitet, tritt jedoch meistens nur vereinzelt auf und hat bisher im Ganzen nicht einen besonders gefahrdrohenden Charakter angenommen.

Die Privat-Wohlthätigkeit entfaltet nach wie vor ihre wahrhaft erfreuliche Thätigkeit, namentlich in der Unterhaltung der zahlreichen Suppen-Anstalten, dem Verkauf von Lebensmitteln zu ermäßigten Preisen, Beschäftigung der Frauen durch Spinnen und sonstige Handarbeiten, wofür der Lohn meist zum Theil in Lebensmitteln gewährt wird.

 

Im Kreise Labiau hat jüngst ein Exceß stattgefunden, welcher durch ungebührliche Anforderungen der Bewohner des Fischerdorfes Gilge veranlaßt war. Von dem Landrathe des Kreises waren nach Gilge erhebliche Vorräthe an Getreide u. s. w. theils für die Suppen-Anstalten, theils zur unmittelbaren Vertheilung, besonders auch in Voraussicht der bevorstehenden gänzlichen Absperrung des Dorfes durch Ueberschwemmung, gesandt worden. Die kleinen Leute und Fischerknechte, irregeleitet durch falsche Vorspiegelungen, meinten, daß ihnen nicht genug zu Theil werde und widersetzten sich namentlich der Maßregel, wonach Arbeitsfähige die Unterstützung nur gegen Arbeit erhalten sollten. Sie rückten zu 2 bis 300 auf Schlittschuhen nach Labiau, um größere Lieferungen an Getreide und sofortige Vertheilung vom Landrathe zu erzwingen. Mit Mühe gelang es, sie nach Bewilligung eines Theils ihrer Forderungen zu entfernen. Auf die Anzeige des Landraths wurde jedoch Militair von Königsberg nach Labiau entsandt und sind die Haupträdelsführer nachträglich zur Haft gebracht worden.

 

Der Minister des Innern Graf zu Eulenburg hat sich nach Königsberg begeben, um in Gemeinschaft mit den Königl. Behörden und mit den Provinzialständen die weiteren Maßregeln zur Linderung des Nothstandes zu besprechen und festzustellen.

 

(Der Prinz Napoleon) ist am 4ten Abends in Berlin eingetroffen. Der Prinz, dessen Besuch hierselbst keine politischen Zwecke hat, findet am Königlichen Hofe die zuvorkommendste Aufnahme, welche den obwaltenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich entspricht.

 

(Einberufung des Bundesraths und des Reichstags.) Durch Königliche Verordnung ist der Bundesrath des Norddeutschen Bundes zum 7ten d. und der Reichstag zum 23. d. Monats einberufen worden, so daß also der Reichstag eher als das Zollparlament zusammentreten wird.

 

Die Verhandlungen über den Handels- und Zollvertrag zwischen dem Zollverein und Oesterreich sind zu einem befriedigenden Abschluß gelangt. Der Vertrag, welcher am 9. März unterzeichnet und dem Zoll-Bundes-Rathe alsbald zur Prüfung vorgelegt worden, besteht aus 25 Artikeln. In einem Vollzugs-Protokolle sind die auf die Ausführung des Vertrages bezüglichen Vereinbarungen festgestellt. Der Vertrag soll binnen 8 Wochen ratifizirt werden und am 1. Juni d. J. in Wirksamkeit treten. Zu derselben Zeit soll auf Grund der früher geführten Verhandlungen der Eintritt Mecklenburgs in den Zollverein stattfinden.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verantwortlich: E. Liedtke in Berlin. Berlin, Druck und Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).

 

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